Kirchspiel Lublin

Geschichte des Kirchspiels LUBLIN (gegr. 1784)

(von Roland Fogt)

Die evangelische Gemeinde in Lublin und der umliegenden Region existierte seit etwa Mitte des 16. Jahrhunderts. In dieser Zeit gab es hier jedoch noch keine Kirche, sondern man benutzte die Kirchen im benachbarten Piaski und in der weiter entfernt liegenden Stadt Neudorf (später bekannt als Moscice) am anderen Ufer des Bugs. Im Jahre 1564 [lt. Kneifel 1560]1 wird das Kirchspiel Lublin und Neudorf erstmals erwähnt.

Nach langjährigen Bemühungen erlangten die Protestanten von Lublin vom König Stanislaw PONIATOWSKI per Dekret vom 25. August 1784 die Erlaubnis, ein selbständiges Kirchspiel einzurichten. Daraufhin wurde der Bau einer Kirche in Angriff genommen und ebenfalls der einer Schule, eines Krankenhauses und eines Pfarrhauses. Pastor Tobias BAUCH aus Neudorf, der das Projekt leitete, zog von Neudorf in die neue Gemeinde. Unter Leitung von August ZYNCHERT wurde der Bau im Jahre 1788 fertiggestellt. Die dankbaren Gemeindeglieder schufen ein geschnitztes Porträt von König Stanislaw, das in einen goldenen Rahmen gesetzt und an einen würdigen Platz in der Kirche aufgehängt wurde. Von der Kirche in Piaski kam die Kanzel für die neue Kirche. Der Altar wurde im Stil Ludwig des XV. gebaut und schloß eine Darstellung von Jesus ein, die aus dem Jahre 1628 stammte.

Später wurden die Glocken angebracht. Diese waren 1784 hergestellt worden und wurden von Paul und Sofie SUCHODOLSKI aus Stryj gestiftet. Während der Russischen Invasion von 1915 fielen die Glocken Plünderern zum Opfer. Dank der Inschrift auf den Glocken konnten sie 1923 wiedergefunden werden. Sie dienen der Kirche bis zum heutigen Tage. 

Die erste Orgel wurde 1819 von Jan PIASKOWSKI gespendet und diente der Kirche fast 100 Jahre lang. 1912 wurde die Orgel durch ein neueres Modell der Firma E. F. Waicker ersetzt. Nach der Renovierung durch die Fa. Oberlinger im Jahr 1988 leistet die Orgel noch heute ihre Dienste.

Keine andere Kirche in der Region besaß so viele wertvolle liturgische Objekte aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Aber in den Jahren der Kriegswirren gingen sie verloren oder wurden zerstört. Viele dieser Objekte wurden im "Illustrierten Reiseführer für Lublin" (veröffentlicht 1901 in Warschau) aufgeführt. Dieser Reiseführer beinhaltet Fotos vom Altar, der Kanzel und von der Schnitzerei von König Stanislaw.

In der Kirche befinden sich auch Gedenktafeln für ehemalige Geistliche und Gemeindeglieder. Es ist bemerkenswert, daß diese Kirche sowohl von lutherischen als auch von reformierten Gläubigen genutzt wurde. Eine der ersten Gedenktafeln, gleich am Eingang auf der linken Seite, wurde dem Pastor August DIEHL gewidmet. Pastor DIEHL war der protestantische Superintendent der Reformierten Kirche von Kongreßpolen und gleichzeitig der protestantische Vertreter von Lublin. 

Gemäß einer alten polnischen Tradition zieren Gedenktafeln aus Metall für ehemalige Gemeindeglieder die Vorhalle der Kirche, die zur Chorempore führt. Diese Gedenktafeln tragen auch Namen des ehemaligen protestantischen Adels. Einige der hier aufgelisteten Namen sind: Adam SUCHODOLSKI, Fryderyk Wilhelm HERMSON (Gutsherr von Czechowka), Jan David HEISSLER, Jerzy FRIFSCH, Jan BARANSKI, Krzystof KORN und Jan PIASKOWSKI. Andere Tafeln tragen Namen ganzer protestantischer Familien, die für das Gemeinwohl des Kirchspiels und der Region gespendet hatten. So war zum Beispiel die Familie VETTER der Hauptsponsor für das Krankenhaus und die Schule, zwei Einrichtungen, die der Bevölkerung noch heute von Nutzen sind. Andere Einrichtungen, wie die Wirtschaftsschule in der Bemardynska Straße und das Krankenhaus in der Staszica Straße, verdanken ihre Existenz der Großzügigkeit solcher Familien wie KRAUSS, SCHOLLZ, HABERLAU, SAUTER, JAEGER, PIASKOWSKI, BARANSKI und vieler anderer.

Der gläubige Protestant legte schon immer besonderen Wert auf den Umgang mit Literatur und Kultur. Diese Sachgebiete dienten dem besseren Verständnis der biblischen Lehren und ihrer Anwendung im täglichen Leben. Spenden an die Protestantische Schule von Lublin ermöglichte es den Studenten, sich nicht nur im Lesen, Schreiben und Rechnen zu vervollkommnen, sondern sich auch mit Landwirtschaft, Handel und Handwerk zu beschäftigen. Mit diesen Spenden wurden auch zahlreiche Bibliotheken, Hospize und allgemeinnützige Organisationen gegründet. So finanzierte zum Beispiel Jan PIATOWSKI im Jahr 1913 einen geräumigen Unterrichtsraum und eine Bibliothek.

Es gab vier Handelsschulen und in der Region betrieben 21 Gemeindeglieder eigene Güter oder Schulen. Die protestantischen Schulen waren häufig die einzigen in den ausgedehnten ländlichen Gebieten. So war zum Beispiel in der Gegend von Sobieszczany die einzige vorhandene Schule für die 7.000 Einwohner eine lutherische Kirchenschule.

Im Jahr 1913 zählte das Kirchspiel 8.857 Mitglieder, von ihnen waren 410 aus Lublin. Zum Kirchspiel gehörten ein Pfarrhaus aus Mauerwerk, drei Häuser für kirchliche Angestellte, ein Haupthospiz, 2 Acre Land [1 Acre = 4047 m²] und ein Garten in Belzyce. Ebenfalls gehörten 3 kleinere Kirchen in der umliegenden Gegend dazu, 4 Grundschulen, 21 kleinere Häuser für Gottesdienste mit Unterrichtsräumen und Wohnunterkunft für den Laiengeistlichen, 166 Acre Ackerland und 40 Friedhöfe, von denen sich drei in Lublin befanden. 

Während des 1.Weltkrieges erlebte das Kirchspiel schwere Verwüstungen. Kirchenbauten wurden zerstört und zahlreiche Gemeindeglieder wurden deportiert. Wie bereits erwähnt, wurden die Kirchenglocken geplündert. Die Verwüstung hatte zur Folge, daß im Jahr 1915 nur noch 519 Gemeindeglieder gezählt wurden und das Kirchspiel zu zerfallen drohte. Mit dem Ende des Krieges und dem Anfang der Selbständigkeit Polens lebte die Gemeinde wieder auf. Im Jahr 1919 verzeichneten die Kirchenbücher 5.051 Mitglieder. 

Das Kirchspiel fing an, sich erneut zu entwickeln und viele Gläubige erhielten Anerkennungen für die Verteidigung ihres Heimatlandes. 1934 wurde unter der erfahrenen Leitung des Dr. Alexander SCHÖNEICH und Bronislava VETTER die Vereinigung der Protestantischen Jugend gegründet. Dr. SCHÖNEICH wirkte als ehrenamtlicher Vorsitzender und Albert FRÖLICH als Vorsitzender. Bronislava VETTER und Jan KRAUSSE waren verantwortlich für die Durchführung der Gottesdienste. 

Es ist ein Glück, daß die Gemeinde imstande war, sich mit Hilfe erfahrener Mitglieder, die leitende Schlüsselpositionen einnahmen, erneut zu formieren. 1922 wurde die Gemeindekirche wieder als eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Stadt Lublin erwähnt. Ebenfalls von Bedeutung waren die zahlreichen Grabstellen, die die Gemeinde auf ihren Friedhöfen seit 1898 errichtete.

Während des 2. Weltkrieges erlebte das Kirchspiel die schlimmste Verwüstung in seiner Geschichte. Sowohl Pastoren als auch Gemeindeglieder wurden inhaftiert. Am 3. Oktober 1939 wurde Bischof Juliusz BURSCHE direkt nach dem Gottesdienst von den Nazis verhaftet. Die polnische protestantische Gemeinde hörte auf zu existieren. Durch diesen Krieg erlebte das Kirchspiel unvorstellbare Verluste an Menschenleben und Eigentum. Kirchendokumente, Zertifikate und heilige Gegenstände gingen verloren oder wurden zerstört. Die Kirchengebäude fielen zusammen mit der Gemeinde dem Krieg zum Opfer.

Als sich 1944 das Ende des Krieges abzeichnete, begann eine kleine Gruppe von protestantischen Gläubigen aus Lublin mit dem Neuaufbau der Gemeinde, sowohl im geistigen als auch im physischen Sinn. Am Heiligabend dieses Jahres hielt Fr. Rysard TRENKLER aus Warschau einen polnischen Gottesdienst in Lublin. 1945 wurde Waldemar LUCER, der vorher in Dachau inhaftiert war, der erste Pastor der Lubliner Gemeinde nach dem Krieg. Seitdem versucht eine kleine Gruppe von protestantischen Gläubigen aus Lublin und der Umgebung unter großen Schwierigkeiten, ihre arme Gemeinde und Kirche zu erhalten. Glücklicherweise für die Gemeinde waren folgende Mitglieder des Stadtrates auch Gemeindemitglieder: Edward SCHOITZ (Chirurg), Gustav HABERLAU (Apotheker) und Karol FREYBEIG (Geschäftsmann). Obwohl die Kirche sich langsam erholte, hatte die Gemeinde in dieser Zeit mit zahlreichen Widrigkeiten zu kämpfen. Viele der ehemaligen Gemeindemitglieder waren in der ganzen Welt zerstreut und das Kirchspiel erlangte nie wieder seine ursprüngliche Größe und Reichtum.

In den vergangenen Jahren, etwa seit 1976, wurden bedeutende Reparaturen und Renovierungen durchgeführt, insbesondere an der Kirchenorgel. Das Gemeindeleben selbst hat sich belebt. Es konnte nicht nur die Mitgliederabnahme gestoppt werden, die Zahl der Mitglieder nahm sogar leicht zu. Die Geschichte des Kirchspiels lebt wieder auf und wichtige Aufgaben, wie die Restaurierung und Katalogisierung der Grabstätten auf dem Kirchenfriedhof wurden verwirklicht. Gemeindemitglieder nehmen an internationalen Konferenzen und Meetings protestantischer Gläubiger teil. Die Kirche empfängt Repräsentanten des römisch-katholischen Glaubens sowie Missionare und ausländische Prediger. Es finden ökumenische Gottesdienste und Gesänge zum Abendgebet statt. Unter der Leitung von Sylwia IRGOWA, Leiterin des Bezirksrates, erfährt die Arbeit der Ökumenischen Kommission der Christlichen Frauen einen erfreulichen Auftrieb. Es gibt auch gemeindeorientierte Aktivitäten, bei denen die Gläubigen für das Gemeindewohl in einer geistlich nützlichen und gesunden Umgebung mitarbeiten können. Außerhalb der Kirche werden verschiedene Aktivitäten unterstützt, die Gemeindehäuser werden für Theatergruppen und Musikkonzerte zur Verfügung gestellt. Die Gemeinde ist sowohl für Christen im eigenen Land offen als auch an ökumenischer Zusammenarbeit mit dem Ausland interessiert.

Die Pastoren im Kirchspiel Lublin

1784 – 1795
1795 – 1821
1821 – 1837
1838 – 1884
1884 – 1888
1888 – 1939
6.9. – 3.10.1939
22.7.39 – 9/1944
1945 – 1955
1955 – 1957
1957 – 1967


1967 – 1976
1976 – 1995
seit 1995

Tobias BAUCH
Jakob GLASS
Johann Georg KARGE
Karl Joseph JONSCHER
Edmund Hermann SCHULTZ
Superintendent Dr. Alexander Eduard SCHÖNEICH
Bischof Dr. Julius BURSCHE
Gerhard RICHTER
Waldemar LUCER
Rudolf MROWIEC
Bogustaw WITTENBERG
(während seiner Amtszeit wurden die Kirchspiele Lublin und Radom vereinigt, Hauptsitz des Pastors wurde Radom)
Jan HAUSE
Jan SZKLORZ
Roman PRACKI (er ist der erste Pastor in Lublin seit dem Ende des 2.Weltkrieges, der den Titel "Probst" erhielt)

 

Anmerkung des Übersetzers: Die Schreibweise der Namen der Pastoren wurde, im Vergleich zur englischen Fassung des Textes von Roland Fogt, soweit bekannt lt. der nachfolgend genannten Veröffentlichung von Eduard Kneifel beim Übersetzen in die deutsche Sprache korrigiert.

Eduard Kneifel: "Die evangelisch-augsburgischen Gemeinden in Polen 1555 - 1939", Selbstverlag des Verfassers, Vierkirchen 1971

1) ebenda Seite 132, 3. Absatz
2) ebenda Seite 135, 1. Absatz

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