Kirchspiel Tutschin

Kirchspiel Tutschin / Tuczyn (gegr. 1888)

Wegen des großen Bevölkerungswachstums in und um Rowno, teilweise auch bedingt durch die erfolgte Fertigstellung der Eisenbahnlinie durch Wolhynien, wurden die Gemeinden im Kreis Rowno und Umgebung im Jahr 1888 aus dem Kirchspiel Shitomir ausgegliedert und eine neue ständige Adjunktur bzw. ein Kirchspiel mit dem Hauptsitz in der kleinen, zentral liegenden Stadt Tutschin eingerichtet. Hiermit begann die "zweite Runde" der Neuformierung der Kirchspiele, welche mit der Ausgliederung der Gemeinden um Nowograd Wolhynsk aus dem Kirchspiel Shitomir im Jahr 1889 und den Gemeinden von Wladimir Wolynsk aus dem Kirchspiel Roshischtsche im Jahr 1891 fortgeführt wurde. (Anmerkung: Dieses waren "Ständige Adjunkturen" von Shitomir und Roshischtsche, keine Kirchspiele, da in diesen Jahren das Mißtrauen der Zarenregierung gegenüber den Wolhynien-Deutschen die Gründung von wahren Kirchspielen unmöglich machte. Die Kirchspiele Luzk, Emiltschin, Radomysl und Rowno waren somit auch offiziell nur "Adjunkturen". In der Realität funktionierten sie jedoch wie Kirchspiele und wurden auch so genannt.)

Die Pfarre Tutschin hatte zum Zeitpunkt der Gründung 56 Bethäuser und Schulgemeinden mit etwa 4.000 Seelen (lt. PINGOUD). (KNEIFEL gibt sogar 25.000 an, siehe unten). Es gab keine Kirche. Der Pastor mietete eine Wohnung in Tutschin bis zum Jahr 1897, als der Bau eines Pastorats beendet war. 1902 wurde eine Umstrukturierung des Kirchspieles Tutschin notwendig. Die Gemeinden in den Kreisen Ostrog, Kremenez (Krzemieniec), Dubno und Luzk wurden zu einem neuen Kirchspiel abgeteilt. Dieses wurde das Kirchspiel Rowno. Den Ausführungen von KNEIFEL zufolge hatte das Kirchspiel Tutschin im Jahre 1904 bereits 12.739 Gemeindeglieder und über 17.000 in 44 Kantoraten im Jahr 1914.

(Anmerkung des Übersetzers: Zum Zeitpunkt der Bildung des Kirchspieles Tutschin waren eine Vielzahl der Gemeinden in ihren Gründungsjahren. Die Siedler wohnten anfangs in Wäldern oder in provisorisch eingerichteten Erdhütten. Sie mißtrauten den damaligen Volkszählungen, vermuteten z.B. Steuererhebungen. Somit sind statistische Angaben aus jener Zeit sehr ungenau. Die bei KNEIFEL zitierten 25.000 Einwohner betreffen das gesamte Gebiet von Tutschin und Rowno und stammen aus einem Aufsatz von Waldemar KRUSCHE, veröffentlicht in der Wolhynischen Beilage des "Friedensboten" aus dem Jahr 1924. Bedingt durch seine Erfahrungen hat Pastor Waldemar KRUSCHE die tatsächliche Einwohnerzahl in den Gründungsjahren auf 25.000 geschätzt.)

Dieses Bevölkerungswachstum vollzog sich trotz des Umstandes, daß das Kirchspiel von Tutschin nach 1906 besonders von der Auswanderungswelle betroffen war. In diesem Jahr gingen eine Vielzahl von Pachtländereien deutscher Kolonisten nach abgelaufenem Pachtvertrag in den Besitz der Bauernagrarbank über. Um dieses Land für den Verkauf an russische Kleinbauern verfügbar zu haben, wurden die deutschen Kolonisten aufgefordert, ihr Land bei Auslauf des Pachtvertrages zu verlassen. Sibirien, die Baltischen Provinzen, Deutschland und Amerika waren ihr neues Ziel. Nicht weniger als sieben deutsche Kolonien des Kirchspiels wurden auf diesem Weg dezimiert. Pastor Oskar SCHNEIDER versuchte vergeblich, eine Kirche in Tutschin zu bauen, aber die Gemeinde zeigte wenig Interesse. Nur ein Bethaus wurde gebaut. 4)

In Folge der Verbannung in den Jahren 1915-1918 lag das Kirchspiel weitgehenst in Ruinen. 6.000 Rückkehrer bewirtschafteten jetzt etwa ein Drittel des Landes von 1914. Die "Gefahr der Sekten" (Ausspruch bei KNEIFEL) war groß. Adventisten, Sabbatisten und "Fußwascher" agitierten frei bis 1923, als Pastor KRUSCHE auf dem Schauplatz eintraf und sich diesen mit Nachdruck widersetzte. Er erkannte auch, daß Kostopol ein Zentrum evangelischer Aktivitäten war und baute dort eine Kirche. Eine neue Kirche wurde ebenfalls in Toptscha im Jahr 1927 gebaut. Rechtzeitig zur 50. Jahrestagsfeier im Jahr 1930 wurde sie fertiggestellt. Das Jahr 1930 erlebte auch die Einweihung einer neuen Kirche in Horodyszcze und eines neues Bethauses in Kartschemka (Karczemka). Eine kleine Kirche und eine Schule wurden 1934 in Kamenka gebaut, während Amelin 1933 eine neue Kapelle und eine Schule und Puchawa 1935 eine neue Kapelle erhielten. KNEIFEL hub Karl FIBICH als einen besonders bedeutsamen Kantor und Lehrer von 1888 bis 1931 hervor. 12)

Die Pastoren des Kirchspiels Tutschin

1888 – 1902 Ernst ALTHAUSEN
1902 – 1912 Oskar SCHNEIDER
1913 – 1915 Karl MÜLLER
1918 – 1921 Erhard TORINUS
1921 – 1924 Georg RUSNOK
1924 – 1931 Ernst Waldemar KRUSCHE
1931 – 1936 Jakob FUHR
1936 – 1940 Hugo Karl SCHMIDT

nach oben

Evangelische Gemeinden im Kirchspiel Tutschin

Alt-Kurgan+ Kamenka (Kamionka)+~ Neu-Kurgan+
Amelin (Amelyn)+ Karlinuwka+ Niespodsjanka I+, II+, and III+
Antonieff (Antoniow)+ Kartschemka+~ Pemkow+
Antonowka (bei Berezno)+ Kolowert I+ and II+ Pjaskow+
Berestowez (Berestowiec)+ Kostopol+ Puchawa+~
Boruwka+ Krucha+ Rudinka+
Chotinka (Chotenka, Neudorf)+ Kuplja+ Salomka (Solomka, Friedrichsdorf)+
Dolganez+ Kurgany+ Schaljanka+
Dombrowa+ Kutu-Salesje+ Shelesniza (Zeleznica, Zeleznitz)+
Friedrichsdorf (Solomka) Ljubomirka Toptscha (Topcza)+
Horodischtsche+ Marcelinhof (Muschtscha)+ Trigubiza+
Januwka (Janowka)+ Maximilianuwka+ Tutschin (Tuczyn)+
Jutschin+ Mitzk+~ Welikoje Pole+
Kamenka (near Mizk)+ Muschtscha (Maszcza, Marcelinhof)+ Zeleznica (Shelesniza)+


Zeichenerklärung

" * " Kennzeichnung für Eigentümerkolonien
" + " bezeichnet eine Ortschaft mit einer Schule (und einem darin genutzten Betsaal)
" ~ " steht für eine Ortschaft mit eigener Kapelle


Quellen:

PINGOUD, G.: "Die evangelisch-lutherischen Gemeinden in Rußland", herausgegeben von der Unterstützungs-Kasse für Evangelisch-Lutherische Gemeinden in Rußland; Band 1: "Der St. Petersburgische und der Moskowische Konsistorialbezirk", St. Petersburg, 1909

4) ebenda, Seiten 201 – 204

KNEIFEL, Eduard: "Die evangelisch-augsburgischen Gemeinden in Polen 1555 - 1939", Selbstverlag des Verfassers, Vierkirchen 1971

12) ebenda Seiten 195 – 197

nach oben